Digitaler Zwilling – Ein unrealistischer Traum oder machbarer Anwendungsfall?

Hennigsdorf, Oktober 2021, Mert Hanayli, Bekzodbek Kobilov

er heutige Markt ist umkämpfter denn je. Die Unternehmen streben danach, qualitativ hochwertige Produkte nicht nur in kürzerer Zeit auf den Markt zu bringen, sondern diese auch ressourcenschonend und erfolgreich zu betreiben. Ein Vorhaben, das ohne Digitalisierung kaum denkbar ist. Vorgeschlagen werden verschiedene Technologien und Businessmodelle, wobei vor allem das Schlagwort Digitaler Zwilling seit 2017 einen enormen Hype erfährt (Quelle: Gartner 2017). Hilft aber ein Digitaler Zwilling wirklich, hochqualitative Produkte zu entwickeln und zu betreiben oder ist es ein Technologie-Flop in the making?

Aber was ist denn ein Digitaler Zwilling?

Ein Digitaler Zwilling ist die digitale Repräsentanz einer oder mehrerer Eigenschaften bzw. Merkmale eines realen Assets. Ein realer Asset kann ein Produkt wie ein Schweißroboter im Werk oder auch genauso ein Logistikprozess eines Lagers sein. Ein Digitaler Zwilling basiert auf dem durchgängigen, dynamischen Informationsmodell, welches als „Digital Thread“ bezeichnet wird. Dies dient als Datenbackbone des Zwillings.

Digitale Zwillinge sind anwendungs- bzw. kontextspezifisch und beschreiben damit ein bestimmtes Verhalten des Assets. Beispielsweise kann das Entladeverhalten der Batterie eines Elektrofahrzeuges oder das Verkehrsverhalten in einer Stadt ein typisches Szenario für einen Digitalen Zwilling sein. Dank des Einsatzes von IoT- und xR-Technologien kann die Interaktion bzw. Kommunikation zwischen dem realen Asset und dem digitalen Modell in Echtzeit und mit einer besseren User Experience geschehen. Zudem können mit Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Machine Learning die diagnostischen und prognostischen Fähigkeiten eines Digitalen Zwillings verbessert werden.

Es gibt zum heutigen Zeitpunkt keinen allumfassenden Digitalen Zwilling und keinen standardisierten Weg ihn zu entwickeln. Jedoch wurden in letzter Zeit einige Methoden zur Auslegung eines Zwillings entwickelt. Das 8-D-Modell von Stark et al. (Fraunhofer IPK) lässt sich als Beispiel erwähnen. Dieses Modell beschreibt die 8 Dimensionen des Digitalen Zwillings mit ihren Realisierungsstufen, darunter Integrationsbreite, Verbindungsmodus, Simulationsfähigkeit usw. Jede Dimension besitzt drei bis vier Realisierungsstufen, (z.B. Verbindungsmodus: uni-direktional, bidirektional, automatisch) und soll bei der zweckoptimierten Planung und Gestaltung des Zwillings helfen. Des Weiteren stellt das Digital Twin Maturity Model von Detecon ein Reifegradmodel hinsichtlich Kommunikation zwischen Digitalem Zwilling und realem Asset sowie Standardisierung der Modellierung der Daten und Datenquellen dar.

Und woraus besteht er überhaupt?

Im Grunde gilt es bei den meisten Zwillingen zwischen statischen und dynamischen Abbildern und ihrer Interaktionstiefe zu unterscheiden, die auch als Echtzeit- und Zustandsmodelle bezeichnet werden können. Hier hilft die Analogie mit modernen Navigationsgeräten:

  • Statisches Abbild einer Stadt: Die Karte ist bereits offline verfügbar, man kann mit den zur Verfügung stehenden Informationen die beste theoretische Strecke berechnen – allerdings ohne Berücksichtigung der echten Verkehrsdaten (As-Built).
    Nicht zu vergessen: Auch hier muss ab und an die Karte aktualisiert werden, damit neue Wege aufgenommen oder gesperrte Wege aus der Karte entfernt werden können (As-Maintained)
  • Dynamisches Abbild der Stadt: Die realen Verkehrsdaten in Kombination mit den statischen Kartendaten können dabei helfen, die tatsächlich beste Strecke zu berechnen (As-Is).

Nachfolgend stellen wir jeweils einen Use Case für beide Arten der Zwillinge bzw. der Abbilder vor, die bei InMediasP entwickelt werden.

Statischer Zwilling zur Unterstützung der MRO-Prozesse

InMediasP entwickelt mit seinen Konsortialpartnern im Rahmen vom MARIA-Forschungsprojekt einen Digitalen Zwilling der MRO-Prozesse im Schiffsbetrieb, damit ein Schiffsbetreiber und/oder eine Wartungsfirma bei ihrem täglichen Geschäft unterstützt werden können. Wartungsfirmen und Schiffsbetreiber haben folgende Herausforderungen/Wünsche:

  • AR-Anwendung zur Werkerunterstützung auf dem Schiff
  • Verwaltung der Ersatzteilinformationen
  • Verwaltung der individuellen Schiffskonfigurationen bzw. Varianten der Aggregate
  • Digitalisierung der MRO-Protokolle

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, wird in einem PDM-System ein MRO-Zwilling entwickelt, der zusätzlich zur Schiffsstruktur die MRO-Prozesse jedes individuellen Schiffs abbilden kann. Dieser Zwilling übernimmt die Verwaltung der Schritt-für-Schritt Anleitungen zur Werkerunterstützung sowie der MRO-Aufträge und deren Protokolle für jedes individuelle Schiff. Zudem speichern As-built, As-maintained Schiffsstrukturen den aktuell verbauten Zustand und den Zustand nach einer Wartung. Außerdem stellt der Zwilling 3D-Daten zur AR-Anwendung bereit.

skizzierte Darstellung für AR-App unterstützte MRO-Prozesse (Bildquelle: InMediasP GmbH)

Zusammengefasst erlaubt dieser Digitale Zwilling eine bessere Planung, Durchführung und Dokumentation der Wartungs- und Reparaturtätigkeiten im Schiffsbetrieb.

Dynamischer Zwilling zur Rennwagen-Überwachung

Im zweiten Anwendungsfall geht es um die Entwicklung eines dynamischen Digitalen Zwillings von der Batterie eines elektrischen Rennwagens. Das Projekt wurde von uns in Kooperation mit dem Formula Student Team (FasTTUBe) der TU Berlin durchgeführt. Das FasTTUBe Team möchte Ladezustand (SOC), Batterielebensdauer (SOH) und Temperatur ihrer Batterie in Echtzeit wissen, damit sie die Batterieleistung an einer Rennstrecke optimal ausnutzen können. Außerdem wollten sie wissen, wie viel Leistung die Batterie für die kommende Fahrt benötigen wird. Um diese Kennwerte zu ermitteln, wurden zwei Modelle (EC-Modell und ML-Modell) der Batterie entwickelt. Während das EC-Modell den Ladezustand, die Lebensdauer und die Temperatur der Batterie in Echtzeit liefert, prognostiziert das ML-Modell, ob der Ladezustand bzw. die Batterieleistung für die kommende Fahrt ausreichen wird. Zudem stellt eine IoT-Plattform mit einer Front-End-Schnittstelle die Visualisierung der Ergebnisse aus beiden Modellen, sowie die IST-Werte bereit, die während der Fahrt aus den Sensoren des Fahrzeugs übermittelt werden. Mit dieser Lösung ist das FasTTUBe Team in der Lage, den IST- und SOLL-Zustand ihrer Batterien ständig zu beobachten. Dies gewährleistet nicht nur eine sichere Fahrt, sondern mindert auch das Risiko eines Ausfalls.

FaSTTUBe Formula Student (Bildquelle: TU-Berlin)

Das FasTTUBe-Team hat – dank unserer Unterstützung – in Formula Student Germany den zweiten Platz in der Kategorie „Digital Twin Engineering Excellence“ gewonnen.

Ist das überhaupt realistisch?

Abschließend bleibt noch die Frage zu klären, ob ein Digitaler Zwilling ein unrealistischer Traum oder ein machbarer Anwendungsfall ist. Die Antwort lautet wie so oft: Es kommt auf den Anwendungsfall an. Die beiden oben beschriebenen Beispiele zeigen eindeutig, welch enormes Potential in diesem Ansatz steckt. Mit Blick auf den Hype Cycle sehen wir zudem, dass die Technologie "Digitaler Zwilling" in naher Zukunft sowohl ihren Hype als auch das „Tal der Tränen“ überwinden wird und sich auf dem aufsteigenden Ast befindet. Digitale Zwillinge beginnen mehr in die Breite zu gehen, was daran zu erkennen ist, dass immer mehr und komplexere Anwendungsfälle in der Industrie umgesetzt werden. Real waren Digitale Zwillinge schon immer, sie werden nur immer präsenter.

Wieviel Potential steckt in Ihren Daten?

Als Knowhow-Träger in diesem Umfeld begleitet InMediasP Sie bei der Gestaltung Ihres Digitalen Zwillings. Kommen Sie auf uns zu!

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